Das könnte ein Zugeständnis an die westlichen Touristen sein, um deren Erwartungen zu erfüllen, aber ist das die einzig mögliche Erklärung, vor allem, da auf persischen Teppichen kein christliches Motiv zu finden ist?
Gehen wir in der Geschichte kanpp zweitausend Jahre zurück, so erfahren wir noch einen anderen möglichen Grund für die christlichen Motive in türkischen Seidenteppichen. Sie könnten auch eine Verbeugung vor der Geschichte und der Entwicklung des Christentums in Anatolien sein, denn wir erfahren, dass Anatolien eine Wiege des Christentums und der der Bibel ist.
Die Anhänger Jesu wanderten nach dessen Kreuzigung nach Kleinasien und ließen sich in Städten wie Ephesos, Hierapolis und in der Region Cappadocia nieder.
Der Heilige Paulus predigte zum Beispiel in Perge Derbe, Lystra, Psidian Antioch, Ephesos und Konya. Im Neuen Testament ist der Epheserbrief enthalten, den Apostel Paulus an die Christen in Ephesos schrieb: das erste Sendschreiben der Johannesapokalypse (Apk 2, 1-7) an die sieben Gemeinden in Kleinasien (Apk 1, 11).
Auch der Heilige Petrus ließ sich in Kleinasien, in Antioch, nieder und bildete die erste christliche Kirche in einer Höhle.
Fresco in Ephesos (Bildquelle)
Ein andere Legende erzählt, dass sich die Jungfrau Maria mit dem Kreis der Frauen um Jesus und den Apostel Johannes in einem Haus in der Nähe von Ephesos niedergelassen haben soll und dort bis zu ihrer eigenen Himmelfahrt viele Menschen in der Heilkunde und der Lehre des Christentums unterrichtet haben soll. Bis auf den heutigen Tag besuchen türkische Menschen das Grab Marias und hinterlassen dort Zettel mit ihren Wünschen.
Sarkophag Mariä in Ephesos (Bildquelle)
Hier soll um 157 auch der Dialog des frühchristlichen Philosphen und Kirchenvaters Justinus mit dem Juden Tryphon stattgefunden haben - eine der frühesten Überlieferungen über die Auseinandersetzung mit dem Judentum, die sich an Christen, Juden und Heiden gleichermaßen wandte und formal in der Tradition der platonischen Dialoge steht.
Bis in die Spätantike war Ephesos eine herausragende Stadt sowohl als Wallfahrtsort als auch als Bischofssitz. Sie war die Hauptstadt der weltlichen Diözese Asiana.
Außerdem fand das erste Ökumenische Konzil, das im Jahr 325 vom römischen Kaiser Konstantin einberufen wurde, in Nicea (heute Iznik) in der Marmara Region der Türkei, zwischen Bursa und Istanbul (damals Konstantinopel, noch früher Byzanz) statt.
Im Jahr 431 tagte in Ephesos das von Kaiser Theodosius II. einberufene 3. Ökumenische Konzil, auch Konzil von Ephesos genannt, und 449 die so genannte Räubersynode, die bereits als der Beginn der Trennung der beiden Kirchen - der Römisch-Katholischen und der Östlichen Orthodoxen Kirchen - angesehen werden kann.
Bis auf den heutigen Tag ist Istanbul der Sitz des religiösen Oberhauptes der Orthodoxen Kirchen, die mit ca. 225 Millionen Anhängern die drittgrößte christliche Gemeinschaft der Welt ist.
Bartholomäus I., Oberhaupt der Orthodoxen Christen (Bildquelle)
Wenn wir all' diese geschichtlichen Abläufe kennen und außerdem in betracht ziehen, dass erst 1071 die Seldschuken (die Seldshuken waren 970 zum Islam übergetreten und gehörten der sunnitischen Glaubensrichtung an, der auch heute noch die Türken angehören) durch die Schlacht von Manzkert die Macht über das Gebiet der heutigen Türkei übernahmen, dass der Koran Jesus als einen der Propheten Allahs anerkennt, so sind die christlichen Motive auf den Seidenteppichen aus Hereke nicht mehr so ganz unverständlich, sondern sie sind eine Reminiszenz and die eigene große Geschichte, die bis in die heutige Zeit auch wichtige Teile der christlichen beinhaltet.
Copyright des Textes: Solveigh Calderin (Cal) Bilder: Alle Rechte vorbehalten Hereke Carpets.com
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